Fettes Brot
"Wir sind das Cannabis des HipHop"

Oberhausen, 13. Dezember 2003. Vor dem Auftritt mit die ärzte in der König-Pilsener-Arena traf ich die drei sympathischen Hamburger zum Interview. Zusammen redeten wir über ihre Auftritte in der Ukraine und in Russland, über die politische Lage in Hamburg und warum Fettes Brot eigentlich für alles Schlechte in der Welt steht.

Für euch ist wahrscheinlich ein Traum wahr geworden. Ihr seid auf Tour unterwegs mit die ärzte. Beschreibt mal dieses Gefühl.

Boris: Ja, wir freuen uns tatsächlich sehr. Wenn mir das jemand gesagt hätte, als ich 15 war, hätte ich ihn wohl für bekloppt erklärt.
Björn: Was war denn beispielsweise dein erstes Konzert von die ärzte?
Boris: Mein erstes Konzert war 1988 im Hamburger Stadtpark. Von daher ist die Freude natürlich sehr groß heute im Vorprogramm spielen zu dürfen. Wobei aber die eigentliche Zusammenarbeit dann der ganz normale Job ist und man das dann nicht mehr so wahr nimmt. Ab und zu wird einem das jedoch wieder klar und das ist dann eine ganz geile Angelegenheit.

Ihr wart im November in der Ukraine. Was habt ihr dort für Erfahrungen gemacht und wie seid ihr aufgenommen worden?

Björn: Wir haben in diese Gebiete jetzt schon den ein oder anderen Ausflug, organisiert vom Goethe-Instituit, gemacht. Das Goethe-Institut ist ja dafür da in anderen Ländern Werbung für die deutsche Sprache und Kultur zu machen. Man kann dann eben in der Schule Deutsch lernen, sofern man möchte. Wir haben dort also auch vor Deutschschülern und Deutschschülerinnen gespielt, die alle sehr gut Deutsch sprachen. Das ist aber alles schon eine ganz andere Welt. Die ganzen ehemaligen Ostblock-Staaten befinden sich zur Zeit halt in einem ganz starken Umbruch und Wandel, den man auch spürt. Wir können nur Werbung dafür machen, sich das auf jeden Fall mal anzusehen. Ist toll.

Klingt sehr nach Faszination für Land und Leute.

Björn: Auf jeden Fall.
Boris: Ein Zustand zwischen fasziniert und geschockt.
Martin: Das sind halt alles so Länder, wo einem keiner erzählt: "Ich war jetzt in den Sommerferien in der Ukraine" oder "Ich hab Urlaub am Schwarzen Meer gemacht". Das hat mir z.B. noch nie jemand erzählt. Man kann halt nicht die gängigen Informationswege wie sie für Länder wie Türkei, Italien, Spanien usw. existieren benutzen. Selbst über die Dominikanische Republik weiß man glaube ich mehr als über die Ukraine. Das ist dann halt jedes Mal eine Reise ins Unbekannte - was halt sehr faszinierend ist. Man fährt dort auch meistens mit allerhand Vorurteilen wie "40° Minus überall" oder "Trink keinen selbstgebrannten Wodka - sonst wirst du blind". Das ganze revidiert sich dann aber von alleine, wenn man erst mal ein paar Tage dort verbracht hat.
Björn: Die Konzerte dort waren aber in jedem Fall auch nicht schlecht. Es gibt halt wenig Bands, die aus dem Ausland kommen und nach Charkiw z.B. fahren um dort ein Konzert zu geben. Deswegen ist es halt eine riesige Attraktion für die Leute dort.
Boris: Da dort so wenig Konzerte stattfinden und sich die meisten Leute auch keine Karten leisten könnten, kamen die meisten dann auch umsonst rein und für die war es teilweise das erste Konzert, was die je in ihrem Leben gesehen haben. Ums Geldverdienen ging es dabei auf jeden Fall nicht.

Wie viel Konzerte habt ihr dort gegeben?

Björn: Zwei. Eins in Kiew und eins in Charkiw.

Ihr wart vor zwei Jahren durch das Goethe-Institut bereits in Russland. Was sind die Unterschiede, wenn man beide Trips vergleicht?

Boris: Ich fand Russland ein bisschen westlicher als die Ukraine. Das war aber insgesamt nicht minder aufregend.
Björn: Ich glaube, man tut den Leuten keinen Gefallen, wenn man die vielen Staaten, die sich aus der ehemaligen UdSSR gebildet haben, in einen Topf schmeißt. Es ähnelt sich aber halt vieles - ob das nun z.B. die Häuser oder Autos sind. Die beiden Länder können ja auf mehrere Jahre gemeinsame Geschichte zurückblicken.

Kommen wir zu eurer Musik. Wie kamt ihr zum HipHop? Was war die Initialzündung?

Martin: Nach meinen zärtlichen Ausflügen in die Punkmusik durch die ärzte während der Schulzeit hatte sich die Klasse gespalten und irgendwann bin ich dann über De La Soul zum HipHop gekommen. Mein Freund und Mitschüler Tobi, der heute bei 5 Sterne Deluxe ist, und dessen älterer Bruder hatten die neusten Sachen besessen und sind halt viel in Clubs mit schwarzer Musik rumgehangen. Nach den ersten Alben von De La Soul und A Tribe Called Quest haben wir dann auch ne Band gegründet - war übrigens mein erstes Konzert - De La Soul 1989 im Stadtpark. Dann ging es in Deutschland los, das die ersten Jams entstanden sind. Man wurde z.B. mit seiner kleinen Band zu Partys in Jugendzentren in der Nähe von Bremen eingeladen. So hat sich dann ähnlich wie beim Punkrock langsam eine Infrastruktur entwickelt - fern vom Industrie-Hype. Man hat halt viele Leute kennen gelernt und Freundschaften geschlossen und irgendwann ist man in die professionelleren Gefilde geschlittert mit Plattenvertrag und unglaublichen Erfolg, der bis heute andauert (lacht).

Wie seid ihr denn zusammen gekommen oder habt euch als Band gefunden?

Björn: Wir sind leider noch nie zusammen gekommen (lacht). Die beiden Bandkollegen zieren sich da so. Bei Martin kann ich mich nicht fallen lassen. Er ist brutal.
Martin: Wir haben uns mehrfach kennen gelernt. Boris und ich kannten uns vom Judo. Als wir so zehn, zwölf waren haben wir dieser japanischen Kampfsportart gefrönt.

Mit großem Erfolg wahrscheinlich.

Martin: Bei Boris schon. Der war, glaube ich, Dritter bei den Hamburger Meisterschaften.
Boris: Ach ja?
Björn: Da hat er wohl ein mal nur so gekämpft.
Martin: Björn und Boris haben sich in einer Jugendgang dann kennen gelernt, die sich in einer evangelischen Kirchengemeinde getroffen hat. Im Bellebad sind sie sich über den Weg gelaufen ...
Boris: ... geschwommen ...
Martin: Ich hatte ja noch die Band mit Tobi und seinem Bruder und noch einem Kollegen aus Hannover und Björn hat dann halt unser Demotape in die Hand gekriegt und dann Tobi und anschließend mich kennen gelernt und hat uns halt als Bassisten für unsere Live-Show König Boris ans Herz gelegt. Da bin ich hellhörig geworden, weil ich dachte, das könnte derjenige aus meiner ehemaligen Klasse sein und er war es dann auch. Bei einer Spontan-Party haben wir uns dann alle näher kennen gelernt und gemerkt, dass wir viel Spaß zusammen haben können und haben bald darauf begonnen erste T exte auf Deutsch zu schreiben.
Björn: Wir waren dann eine große Kuddelmuddel-Band - eine Multikultitruppe (lacht) und alle unten rum extrem gut ausgestattet.

Das war dann wohl Bedingung.

Björn: Ja, ja, auf dem Pissoir haben wir das gesehen. Es lief gute Musik und unsere Pisstrahlen haben sich gekreuzt - da wussten wir, dass dies ein Zeichen von oben war.

Sozusagen auf Brüderschaft gepinkelt.

Björn: Genau (lacht).

Der Vorwurf, den ihr euch immer ausgesetzt saht, war, dass ihr immer als Einstiegs-HipHopper galtet und als Softies.

Björn: Schön formuliert. Wir sind sozusagen das Cannabis des HipHop (lacht).

Jedenfalls habt ihr auf den letzten Platten durch Tracks wie "Lichterloh" oder mit der Kooperation mit Bela bei "Tanzverbot" verstärkt politische Punkte angesprochen. Geschah dies bewusst um diese Vorwürfe aus dem Weg zu räumen oder wolltet ihr zu bestimmten Themen nicht mehr schweigen?

Boris: Wir haben es ja schon immer so gehalten, dass wir über Themen, über die man sich mehr als eine halbe Stunde unterhalten kann Songs gemacht haben. Das ist keine Reaktion auf irgendwelche Vorwürfe. Das Thema ist für uns abgehakt, als dass uns das in irgend einer Art und Weise tangieren würde.
Martin: Das war aber eben schon immer so. Ich glaube wir wurden auch oft missverstanden (lacht). Ich glaube, man kann uns natürlich leicht den Vorwurf mach, das wir zu weich und nur...
Björn: Spaßrapper sind.
Martin: Genau. Wer jedoch unsere Discographie aufmerksam verfolgt, der wird schon den ein oder anderen Song entdecken, der dann natürlich mit der Naivität aufwartet, die man mit 17 oder 18 hatte. Da hießen die Lieder dann eben nicht "Lichterloh" sondern "Schwarzbrot - Weißbrot" oder "Schule der Gewalt". Das war aber schon immer ein Teil von Fettes Brot sich auch ernsteren Themen zu widmen.

Wenn wir die Thematik von "Tanzverbot" nehmen: letzte Woche gab Hamburgs Regierender Bürgermeister von Beust das Ende der Koalition von CDU, FDP und Schill-Partei bekannt. Ihr seid, denke ich mal, mehr als froh, dass das Scheitern mittlerweile amtlich ist, oder?

Boris: Auf jeden Fall. Das lustige ist: jedes Mal, wenn dort irgend etwas passiert, dann bin ich nicht in Hamburg. Als Schill zurückgetreten ist, war ich in Griechenland und jetzt eben auf Tour. Die Freude ist groß und lassen wir uns überraschen, was die Neuwahlen bringen.
Martin: Meine Schwester hat mir berichtet, dass dann letzte Woche bei einer spontanen Freudendemo im Schanzenviertel wieder "Tanzverbot" gespielt wurde. Alle Leute haben getanzt.
Björn: Yeah!

Ihr habt ja auch bereits auf dem Tribut-Sampler "GötterDÄmmerunng" einen Song von die ärzte gecovert, nämlich "Was hat der Junge doch für Nerven". Warum gerade den?

Björn: Ich glaube diese Textidee: "Mit uns kommt sowieso keiner mit, denn wir sind die Brote und wir sind zu dritt" fanden wir einfach sehr lustig.
Martin: Er passte halt sehr gut zu uns, da er eben drei Strophen für jeweils ein Mitglied hat und es ist einfach ein geiles Lied.

Ihr habt dieses Jahr zum ersten Mal mit Band gespielt, mit den "Herren". War das eher eine einmalige Sache oder ist das etwas für die Zukunft?

Björn: Ich glaube, dabei sind auf jeden Fall Sachen entstanden, die uns in Zukunft beeinflussen werden. Ob wir jetzt genau so wieder auf Tour gehen, wissen wir jedoch noch nicht. Das müssen wir noch planen, denn wir machen ja auch gerade eine neue Platte und dann wird sich das irgendwie ergeben. Vielleicht kommen aber auch noch Streicher, Bläser und Background-Sängerinnen hinzu (lacht). Man weiß noch nicht so genau.
Martin: Auf jeden Fall ist es eine sehr inspirierende Tour gewesen.
Björn: Wir sind aber auf dieser Tour auch wieder mit Band unterwegs - sind auch wieder die "Herren". Die heißen jetzt aber "Die Störenfriede", weil sie die die ärzte-Fans eben stören.
Boris: Das liegt an dem verfluchten Kündigungsschutz, der unbedingt weg muss, sonst hätten wir uns diese Musiker schon lange vom Hals geschafft.
Björn: Wir sind für die Lockerung des Kündigungsschutzes (lacht)...

... und für Studiengebühren jeglicher Couleur...

Boris: ... und härtere Abschiebungsgesetze ...

... und dafür, dass Harald Schmidt endlich von der Bildfläche verschwindet.

Boris: Wir stehen eben für alles Schlechte (lacht).

Wie beurteilt ihr den Einfluss von die ärzte auf die heutige Musiklandschaft?

Boris: die ärzte sind natürlich mittlerweile längst im Mainstream angekommen, was man ja auch den Ticketverkäufen für diese Tour sieht. Da kann man nicht drum herum reden. Der Einfluss ist groß und von den Leuten, die kommen gibt es sicher auch viele, die sich von der Musik der die ärzte beeinflussen lassen.
Martin: Andererseits füllt Westernhagen Stadien und hat kaum Einfluss auf Musiker und Leute. die ärzte waren und sind für mich immer eine Band gewesen, die für einen anderen Weg stehen. Westernhagen ist bestimmt auch der Meinung, dass er früher mal ein großer Rebell war. die ärzte geben mir jedoch das Gefühl, dass sie sich einen Großteil dessen, was ihre Einzigartigkeit ausmacht bewahren konnten, obwohl sie mittlerweile einen solch enormen Erfolg haben und deutsche Megastars sind.
Boris: Das ist natürlich auch sehr subjektiv. Es gibt sicher auch viele Leute, die genau das Gegenteil von dem über die ärzte sagen würden.
Martin: Die dann das aber auch über uns sagen. Obwohl wir halt eine super unabhängige, autarke Band sind, halten die uns dann für weiche Popspacken. Ich glaube aber, dass es vielen so geht, dass die bei die ärzte merken, dass die einen anderen Weg gehen, ihr eigenes Ding machen und trotzdem jede Menge Spaß und Erfolg haben.
Björn: Es freut mich auch immer bei die ärzte zu sehen, dass die nicht jeden Scheiß machen. Man kann sich bei bestimmten Dingen darauf verlassen, dass man die ärzte dort nicht findet. Das machen sie eben ganz bewusst nicht. Das gleiche sehe ich auch bei uns, dass wir eben nicht jeden Scheiß mitmachen. Wir überlegen uns halt bewusst, was und vor allem wie wir es machen wollen. Das haben sich die ärzte halt über die Jahre hinweg bewahrt. Was ich darüber hinaus gut finde ist, dass sie ein enges Verhältnis zu ihrer riesigen Fangemeinde haben. Ich finde es toll, wie sie mit ihren Fans kommunizieren. Sie mögen ihr Publikum eben sehr.
Martin: Sie spielen ja auch bei diesen Größenverhältnissen der Hallen noch für geringes Geld, wobei ich jetzt nicht weiß, wie hoch genau die Preise liegen, da ich ja überall umsonst rein komme (lacht).

Das mit dem Mainstream stimmt auf jeden Fall. Früher galt man als die ärzte-Fan echt als Außenseiter, heute hat sich das stark gewandelt.

Björn: Man muss auch niemanden mehr erklären wer die ärzte sind. Ich würde gerne mal wissen, wie viel Prozent in Deutschland die ärzte kennen.

Ihr habt vor längerer Zeit einer Folge der "Drei Fragezeichen" eure Stimme geliehen. Was habt ihr da genau gemacht?

Boris: Die Folge hieß "Im Bann des Voodoo". Es geht da um dieses Milli-Vanilli-Syndrom. Es gibt da halt eine Band die wirklich singt und eine, die nur posiert. Wir sind halt die "richtige" Band, haben aber alle schlechte Zähne und sind tätowiert und sehen scheiße aus.
Björn: Das geht natürlich nicht.
Boris: Wir sind da halt Frank, Luke und Bart und sprechen die Stimmen.
Martin: Das war halt ein Deal zu unserer vorletzten Studio-Platte "Fettes Brot lässt grüßen". Die "Drei Fragezeichen" haben dort auch unser Intro gesprochen. Zu der Zeit standen wir in regen Kontakt zu den drei Privatdetektiven aus Rocky Beach.

Was können wir denn 2004 von euch erwarten?

Björn: Einiges. Wir sind dabei neue Stücke aufzunehmen. Ein großes Abenteuer, denn wie Boris gerade gesagt hat, hat die Tournee mit der Band uns sicher noch neue kreative Impulse gegeben und ich kann mir vorstellen, dass man das auf der nächsten Platte hören wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir mit diesen Leuten auch eng an der neuen Platte arbeiten werden.
Martin: Es sind die meisten Songs auch schon mittlerweile recht weit gediegen, so dass man ein ungefähres Gefühl dafür bekommt, wie die neue Platte sich machen wird.
Björn: Wann die dann genau rauskommen wird, können wir von Fettes Brot natürlich nie sagen. Wir sind keine solchen Termintypen.
Boris: Dazu kommt dann natürlich noch die Tour.
Björn: Richtig. Im Sommer werden wir wieder auf Festivals spielen, was wir halt so an Land ziehen können und im Herbst gibt's dann wieder ne fette Tour.

Schön zu hören. Vielen Dank für das Gespräch.

© Stefan Üblacker